Gestrüpp und Unkraut haben die toskanische Villa fast vollständig umrankt, wachsen aus allen Ritzen und Fugen dieses Anwesens, welches fast ebenso unnahbar und gleichzeitig magisch wirkt, wie der Film, welcher hier seinen Anfang nimmt und dessen Wege ebenso verschlungen sind wie die Ranken. Hier lebt die ältere Flora (Isabella Rossellini) und wartet auf die Rückkehr ihrer verschwundenen Tochter Benjamina. Ebenso struppig sind die Nachbarn, eine Bande Heimatloser, die den kleinen Bahnhof okkupiert hat, an dem schon lange kein Zug mehr hält oder in ärmlichen Hütten entlang der Gleise haust. Ob sie Künstler oder Ganoven sind, ist nicht unterscheidbar. Vielleicht beides. Italien, Anfang der 1980er Jahre. Aber irgendwie ist die Zeit stehen geblieben.
Die wilden Ranken verbinden Erde und Himmel, das Reich der Toten und die Schollen der Lebenden. Welcher Wind Josh, einen jungen Engländer, hier her geweht hat, weiß niemand, vielleicht nicht einmal er selbst. Vielleicht war es die Liebe zu Benjamina, der er in Tagträumen nachtrauert. Jedenfalls hat er hier Wurzeln geschlagen. Und da Josh über die magische Fähigkeit verfügt, mittels einer Wünschelrute antike Kunstschätze unter der Erde aufzuspüren, schlagen sich er und seine Kumpane als Grabräuber durch. Ärchäologische Schätze aus etruskischer Zeit verhökern sie an superreiche Sammler aus aller Welt.
Keine Beschreibung dessen, was in La Chimera passiert, könnte auch nur annähernd vermitteln, was in La Chimera passiert und wovon dieser Film handelt. Rohrwachers Film interessiert sich für Archäologie – vor allem jene von Joshs Psyche, in welche er, Schicht für Schicht, immer tiefer eindringt. Vielleicht sind die ausgegrabenen Schätze aber auch nur Metaphern für ein Land, welches seine Vergangenheit sucht, weil es an seiner Gegenwart krankt. Oder Schimären, die einmal ans Licht gebracht, sogleich verblassen. Ein Film, welcher zwischen Tag und Traum, zwischen Vergangenheit und Gegenwart, Realität und Magie oszilliert – niemals greifbar, aber immer faszinierend.