Im Flugzeug hat er sich noch mit der Stewardess in perfektem Arabisch verständigt, nun wandert er einsam durch die Straßen Neapels. Ein Fremder? Vielleicht. Ein Tourist? Offensichtlich nicht. Er nimmt Quartier in einem einfachen Hotel im Viertel Sanità, eher berüchtigt für Drogenhandel und Kleinkriminalität als für touristische Attraktionen. Er besucht eine alte Frau in einer miserablen Wohnung, kümmert sich um sie. Den neapolitanischen Dialekt spricht er perfekt mit ihr.
Es braucht eine Weile, bis in Mario Martones Nostalgia deutlich wird, wer dieser Mann ist. Felice hat seine Heimatstadt vor 45 Jahren verlassen, nun kommt zum ersten Mal zurück um noch einmal seine Mutter zu sehen, die bald sterben wird. Und schon bald begegnen ihm Menschen, die seine Mutter kannten und auch ihn wieder zu erkennen glauben – obwohl er die Stadt mit 15 Jahren verlassen hat und seither nie wieder zurückkehrte. In Ägypten hat er sich ein neues Leben aufgebaut, hat geheiratet, ist zum Islam konvertiert, hat ein Unternehmen aufgebaut, mit dem er reich geworden ist. Doch nun, in Neapel holen ihn wieder die Geister der Vergangenheit ein. Halt bieten nur die Smartphone-Video-Gespräche mit seiner Frau in Ägypten … bevor die Stadt ihn verschlingt.
Man kann Mario Martones Nostalgia durchaus als Gegenentwurf zu Paolo Sorrentinos La Grande Bellezza sehen. Sorrentinos Hommage an Rom stellt Martone nun eine so ganz andere Hommage an Neapel gegenüber. Auch wenn dies sicher nicht Martones Absicht war – der Vergleich drängt sich einfach auf. Auch weil die beiden Filme stilistisch kaum unterschiedlicher sein könnten. In Rom „hat man“, in Neapel „sucht man“.
Der gebürtige Neapolitaner Martone arbeitet seit den 90er-Jahren vor allem im Theater, als Filmemacher sowohl dokumentarisch wie auch im Spielfilmformat. Fast zeitgleich zur deutschen Premiere von Nostalgia konnte man auf der Berlinale auch Martones jüngsten Dokumentarfilm Laggiù qualcuno mi ama über den neapolitanischen Schauspieler und Filmemacher Massimo Troisi sehen.
Es waren einmal in Neapel zwei Jungens, kaum Bart im Gesicht. Sie waren beste Freunde, machten die Altstadt mit ihren Mofas unsicher …. Felice und Oreste, sie gerieten auf die schiefe Bahn … ein versuchter Einbruch, ein versehentlicher Toter. Noch in derselben Nacht flüchtete Felice aus der Stadt. Oreste hingegen blieb und stieg in der Camorra auf.
Neapel sehen und sterben? Die Stadt hat viele Geschichten zu erzählen. Nicht alle sind schön. Nicht alle werden auf dem selben Papier geschrieben.

Italien 2022
Regie: Mario Martone
Buch: Ermanno Rea (Romanvorlage), Mario Martone, Ippolita Di Majo
Bildgestaltung: Paolo Carnera
Montage: Jacopo Quadri
Produktion: Roberto Sessa
DarstellerInnen: Pierfrancesco Favino, Francesco Di Leva, Tommaso Ragno, Aurora Quattrocchi
117 Minuten
FSK: ab 12
Original (italienisch/neapolitanisch)
mit deutschen Untertiteln
Nostalgia
Villingen
Donaueschingen
Mittwoch, 20. September 2023
20:15 Uhr
20:15 Uhr
Montag, 18. September 2023
17:00 Uhr (deutsch)
17:00 Uhr (deutsch)
20:00 Uhr
(OmU)
– Cinema