Seit mehreren Jahrzehnten beschäftige ich mich bereits mit dem afrikanischen Kino. Vor ziemlich genau 25 Jahren, im Sommer 2000 schrieb ich für den „Gaffer“ – die damalige Filmzeitschrift des Guckloch-Kinos – einen längeren Text zur Situation der Filmproduktion im Sub-Sahara-Afrika und der Wahrnehmung dieser Filme im europäischen Kino. Als nun die Städtische Galerie VS mit der Bitte an uns heran trat, ein filmisches Begleitprogramm zur Ausstellung „Le sel noire – Perspektiven Schwarzer Gegenwartskunst“ zusammenzustellen, war dies natürlich auch eine Gelegenheit, nochmals einen Blick darauf zu werfen, was ich damals zum afrikanischen Kino geschrieben hatte. (Meinen Text von 2000 finden Sie hier)
Vieles hat sich seither verändert, vieles ist auch gleich geblieben. Noch immer ist afrikanisches Kino in Europa praktisch unsichtbar. Zumindest auf der großen Leinwand. 2024 kam ein einziger Schwarzafrikanischer Film in den deutschen Kinoverleih (und ein weiterer aus Marokko). Afrikanisches Filmschaffen in deutschen Kinos zu zeigen, ist heute ebenso schwierig wie vor 25 Jahren. Doch in Afrika hat das Kinosterben, welches ich bereits damals ansprach, etwa 2010 einen Wendepunkt erfahren. Zumindest in Ballungsgebieten entstanden neue Kinoketten, welche eine neue wohlhabende Oberschicht ansprechen. Die afrikanische Filmproduktion ist seither explodiert. Nur wenige Jahre nach meinem damaligen Text wurde „Nollywood“ ein fester Begriff. In Anlehnung an Hollywood hatte sich das indische „Bollywood-Kino“ auch in Afrika etabliert. Nun entstand in Nigeria „Nollywood“ – heute ist Nigeria die zweitgrößte Filmnation weltweit – hinter Indien, aber deutlich vor den USA. Diese Filme erreichen jedoch kaum ein Publikum außerhalb der afrikanischen Diaspora.
Mein damaliger Text markierte aber auch ein wachsendes Interesse am Afrikanischen Kino Ende der 1990er Jahre. Wenige Monate später nahm ich an einem Symposium zum Afrikanischen Kino im Karlsruher ZKM teil. Dort sagte der Kamerunische Regisseur Jean-Marie Teno: »Das angeblich afrikanische Kino ist in Wirklichkeit ein europäisches Kino. Es wird mit europäischem Geld finanziert und zeigt, was Europäer gerne über Afrika sehen möchten. Folklorismen, falsche Traditionen und schöne Dörfer.« Er hatte recht. Noch immer gilt: Was uns hier in Deutschland an „Afrikanischem Kino“ begegnet, sind fast immer Filme, welche weiterhin unter das damalige Dictum von Teno fallen. Um nur ein Beispiel zu nennen: Die Nigerianerin Funke Akindele dreht seit einigen Jahren kontinuierlich etwa einen Film pro Jahr. Fast immer als Regisseurin, Autorin, Produzentin und Hauptdarstellerin. Ihr Film Battle on Buka Street (2022) war der bislang erfolgreichste Film in Nigerias Filmgeschichte und gleichzeitig auch der erste Nollywood-Film, der einen US-amerikanischen Verleih fand (und dort oft für ausverkaufte Vorstellungen sorgte). In Deutschland war er nicht zu sehen, seine Regisseurin bleibt unbekannt.
In den vergangenen 25 Jahren hat sich das afrikanische Filmschaffen emanzipiert. Wir müssen unsere europäische Sichtweise auf das afrikanische Kino komplett neu denken. Und wir müssen damit bei uns beginnen. Zwei der drei Filme, die wir jetzt zu diesem Thema zeigen, sind Filme aus Europa. Denn das wirkliche afrikanische Kino bleibt uns weiterhin verborgen.
Richard Hehn