Frankreich 2021

Buch und Regie: Éric Gravel
Bildgestaltung: Victor Seguin
Musik: Irène Drésel
Schnitt: Mathilde Van de Moortel
Produktion: Novoprod Cinema/France 2 Cinéma/Haut et Court
DarstellerInnen: Laure Calamy, Anne Suarez, Geneviève Mnich, Nolan Arizmendi, Sasha Lemaitre Cremaschi,  Cyril Gueï 

88 Minuten

FSK: 0

Festivals & Preise:
Venedig 22: Regie-Preis und beste Schauspielerin in der Reihe „Orizzonti“, Filmfest München 2022 Cesar 2023: Schnitt und Musik

Original (französisch)
mit deutschen Untertiteln



Á plein temps
Julie - Eine Frau gibt nicht auf

Wie lässt sich Zeitdruck besser auf Zelluloid bannen als durch einen Wecker, der viel zu früh schrillt? Gravel hat ein paar Ideen. Im Drehbuch türmt sich Hindernis auf Hindernis. Ein Streik legt den öffentlichen Nahverkehr lahm. Der abgetauchte Ex-Mann zahlt die Alimente nicht. Die betagte Nachbarin verliert beim Kinder-hüten die Nerven. Julies Chefin hat sie auf dem Kieker. Und der Warmwasserboiler gibt den Geist auf. Dennoch steht und fällt in diesem Drama alles mit Laure Calamy. Sie ist in jeder Szene zu sehen und trägt den Film scheinbar mühelos. Calamy spielt eine Frau, die gelernt hat, gute Miene zum kapitalistischen Spiel zu machen. Wie ausweglos die Situation auch sein mag, ein ums andere Mal setzt Julie ihr umwerfendes Lächeln auf und marschiert unbeirrt weiter. Wie sehr sie sich dabei selbst verliert, vergisst und vernachlässigt, veranschaulichen kleine Momente, leicht zu übersehen. Ein entspanntes Verschnaufen in einem warmen Bad, bevor der von Albträumen geplagte Sohn an der Wanne steht und Julie zurück in den Alltag holt. Ein schüchterner Kuss, den sie einem flüchtigen Bekannten aufdrückt, bevor ihr Gesichtsausdruck offenbart, wie lange sie schon nicht mehr geküsst worden ist. Dass Julie sich auf eine Stelle bewirbt, die ihrer Ausbildung entspricht, und dafür ihren bisherigen Job riskiert, ist fast nebensächlich, denn wir würden ihr sowieso überallhin folgen. Auch das unwahrscheinliche Happy-End, das Gravel ihr schenkt, weil er sie so wenig untergehen lassen kann wie sein Vorbild John Cassavetes die von Gena Rowlands gespielten Heldinnen seiner Filme, bricht diesen Zauber nicht. Denn hier geht es nicht um statistische Wahrscheinlichkeiten. Es geht um Träume, Wünsche, Charisma. Um Kino.

Manfred Eisenmann
Villingen
Mittwoch, 19. Juni 2024
20:15 Uhr
Montag, 17. Juni 2024
17:00 Uhr (DF)
20:00 Uhr (OmU)